Hochmut kommt vor dem Fall. So gesehen schadet eine gewisse Portion Ergebenheit dem Ego bestimmt nicht. Demütige Menschen kennen ihre Fehler und zeigen sich, trotz Erfolg, bescheiden. Ebenso bescheiden ist der Kontext, in dem das Wort demütig zum ersten Mal schriftlich erwähnt wird.
Denn ich bin nicht würdig
Werfen wir zunächst einen Blick in die Gegenwart.
Wer im Presseportal nach dem Adjektiv demütig sucht, fällt auf, dass die Mehrheit der Ergebnisse aus Artikeln der Sportrubrik stammt. Einträge wie:
“Bad Boy Dylan Groenewegen gibt sich vor seinem ersten Radrennen nach neunmonatiger Sperre ganz demütig.” ¹ oder
“Ungewohnt demütig klang er vor einigen Wochen: „Im Moment verdiene ich es nicht, zu bleiben“, sagte Cuisance.” ² lesen sich häufig.
Gleich dahinter folgen Nachrichten aus dem Politikgeschehen oder über eine Preisverleihung. Demut ist in den Schlagzeilen mit Prestige, Macht und Erfolg verbunden. Die damit bezeichnete Person gibt sich bescheiden. Im Kontrast zum grossen Sieg macht sie sich klein.
Dieses Klein-machen stammt aus einem ursprünglich religiösen Kontext. Der fehlbare Mensch erkennt seine unvollkommene Natur im Gegensatz zur Herrlichkeit seines göttlichen Schöpfers. Arroganz, Selbstherrlichkeit und Stolz sind der Demut fremd. Sie wirkt, wie die nächste Stufe der Bescheidenheit.
Was hat Demut mit Mut zu tun?
Die Wurzel von demütig geht auf das althochdeutsche Wort diomuoti (auch dheomodi oder thiomuoti) zurück. Es ist bereits im 8. Jahrhundert schriftlich belegt. Diomuoti setzt sich zusammen aus dio (Diener, Knecht) und muot (u.a. Mut, Gesinnung, Zustand …). Frei übersetzt bedeutete diomuoti den Zustand des Dienens.
Mut ist nicht gleich muot
Das althochdeutsche Wort muot hat viele Bedeutungen. Im germanischen Sprachraum ist es mit dem gotischen moþs, altnordischen módr und altenglischen mōd verwandt. Mōd hat sich im Englischen zu mood = Stimmung und Laune entwickelt.
Die Mehrdeutigkeit von muot führte dazu, dass neue Ableitungen entstanden. Wir erkennen die Wurzel in Gemüt, Hochmut, Wehmut, Wagemut oder Demut.
Unfreiwillig demütig
Demut zu zeigen ist eine Tugend. Der demütige Mensch steigt selbst vom Podest und vergisst seinen Stolz. Verletzt jedoch einer die Würde eines anderen gegen dessen Willen, erfährt der eine Demütigung. Die Herabsetzung geschieht passiv statt aktiv und der Gedemütigte fühlt sich in seinem Stolz verletzt.
Als Verb demütigen wir eine Person, um sie zu erniedrigen und uns selbst zu erhöhen. Das Adjektiv demütig bezeichnet ein bescheidenes Wesen, während das Adjektivadverb beschreibt, wie wir bescheiden handeln.
Abrogans
Um zu sehen, wo das Wort zum ersten Mal geschrieben steht, begeben wir uns in den Stiftsbezirk von St. Gallen. Das Kloster markierte einst eines der bedeutendsten kulturellen Zentren Europas. Die Bibliothek, die im 18. Jahrhundert im Barock-Stil neugestaltet wurde, beherbergt Schätze in Form von kostbaren Manuskripten und uralten Wälzern.

In einer Vitrine des holzvertäfelten Saales, neben imposanten Bibelübersetzungen im A3-Format und kunstvoll verzierten Gebetsbüchern, liegt es da. Ein unscheinbares Büchlein, dass mit einem Seitenformat von ca. 17 x 10.5 cm eine bescheidene Grösse aufweist.

Ganz im Kontrast zu seinem historischen Wert. Das lateinisch-althochdeutsche Glossar entstand gegen Ende des 8. Jahrhunderts und gilt als das älteste erhaltene Buch in deutscher Sprache. Die Handschrift besteht aus drei Teilen. Der erste Teil dient als Wörterbuch, dass lateinische Ausdrücke der Bibel ins Althochdeutsche übersetzt. Danach folgt ein Vater Unser (Paternoster) und ein Glaubensbekenntnis (Credo), ebenfalls in althochdeutsch.
Der Name Abrogans kommt von dem ersten Eintrag in das Wörterbuch:
Abrogans – dheomodi ³

Da haben wir es. Demut. Das ist, wenn eines der bedeutendsten Bücher der Welt aussieht wie ein verlottertes Notizbuch und sich – wortwörtlich – demütig nennt.
Quellen
¹ Die Kitzinger vom 08.05.2021, S. 22 / Sport (überregional)
² Rheinische Post Nr. 105 – Erkelenz, 06.05.2021, S. 14
³ St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 911: Abrogans – Vocabularius (Keronis) et Alia. URL