SchlagwortAristoteles

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Die Kernaussage. Das Herzstück. Die Wesensart. Der Hauptgedanke. Die Quintessenz umgibt sich nicht mit unnötigem Schnickschnack. Sie ist pur, minimalistisch und fasst den Kontext zusammen. Ungleich verworren und vielschichtig ist ihre Wortgeschichte. 

Das fünfte Element

Beginnen wir mit einer antiken Physik-Stunde. Aristoteles bestimmt die Natur als etwas, dass sich durch einen inneren Bewegungsantrieb bewegt oder ändert¹. Himmelsgestirne wie Planeten oder Sterne bewegen sich kreisförmig, was Gelehrte mathematisch berechnen können. Dagegen bewegen sich Körper auf oder in der Nähe der Erde ungestört geradlinig.

Daraus schlussfolgert Aristoteles, dass es zwei Arten einfacher Körper gibt: die irdischen und die himmlischen. Die irdischen einfachen Körper sind in dieser Reihenfolge vom Erdmittelpunkt aus: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Die ungestörte geradlinige Bewegung zieht jedes Element zu seiner natürlichen Schicht. Erde und Wasser nach unten, Luft und Feuer nach oben.

Die himmlischen Körper bestünden aus Äther, dem mysteriösen fünften Element, auch das fünfte Seiende oder auf Latein: quinta essentia genannt. Die Quintessenz.

Die 5 Elemente nach Aristoteles: Erde, Wasser, Luft, Feuer und Äther.
Erde, Wasser, Luft, Feuer und Äther: die Bestandteile des Universums?

Moderne Physik

Äther galt als masseloses, unveränderliches und ewiges Element, dessen natürliche Bewegung kreisförmig verlaufen. Es unterschied sich grundlegend von den anderen vier Elementen und wirkte göttlich.

Heute erkennen wir im Adjektiv ätherisch Eigenschaften des Äthers. Ein ätherisches Duftöl bezeichnet einen flüchtigen Duft. In ätherischen Sphären schweben wir in himmlischen Gefilden, während ein ätherisches Wesen geisterhaft und hauchzart erscheint.

In der Physik hielt sich die Theorie nach der Existenz eines Äther-Stoffes hartnäckig bis in das 20. Jahrhundert hinein². Wissenschaftler*innen nahmen an, dass (Licht-)Äther ein Stoff mit geringer Dichte sei, der jeden absoluten Raum fülle. Äther sei ein Medium, durch das sich Licht und andere elektromagnetische Wellen, wie Schallwellen, durch die Luft ausbreiteten.

Etliche Experimente versuchten die Äther-Hypothese zu beweisen oder zu widerlegen. Erst Albert Einsteins 1905 formulierte Relativitätstheorie versetzte der Äther-Theorie den Todesstoss. Noch heute erscheinen Publikationen, die die Existenz des Äther-Stoffes belegen wollen. Die Mehrheit der Fachleute geht nicht davon aus.

Der Stoff des Kosmos

Eine andere, unbekannte fünfte Kraft rückt in den Suchradius: die dunkle Energie.

Kosmologen vermuten, dass sie für die Expansion des Universums verantwortlich ist und seit dem Urknall ausgesendet wird³. Untersuchungen belegten die Existenz dieser dunklen Energie. Ihr Wesen ist noch unbekannt.

Laut einigen Theorien besteht die dunkle Energie aus einem speziellen Stoff. In Anlehnung zu Aristoteles nennen Wissenschaftler diesen Stoff Quintessenz.

Alchemie

Bekannt ist der Begriff auch in der Alchemie, dem Vorläufer der modernen Chemie. Alchemie ist die Kunst, Stoffe zu transformieren und Substanzen in ihre Bestandteile zu zerlegen⁴. Das Ziel dabei: das Wirksame vom Unwirksamen zu scheiden und es dadurch in sein letztes Wesen zu verwandeln. Dieser Kern galt als Heilmittel und besass die geballte Power der Ursprungssubstanz.

Alchemisten bezeichnen diesen innersten Wesenskern als Quintessenz. Zunächst gingen sie davon aus, dass alle Stoffe ein Quäntchen der gleichen Quintessenz enthielten, die zu konservieren oder heilen vermochte. Später setzte sich die Theorie von einer substanzspezifischen Quintessenz durch.

Pharmazie

Hieronymus Brunschwig beschreibt 1500 in seinem kleinen Destillierbuch⁵ die Herstellung diverser Quintessenzen als Arzneien. Neben Destillationsgeräten und -methoden beschreibt Brunschwig viele zeitgemässe Arzneimittel und deren mutmassliche Wirkung.

Erste Seiten von: Das buch der rechten kunst zu distilieren die eintzige ding, von Hieronymo Brunschwygt

Einige von Brunschwig beschriebenen Arzneien kennen wir als bewährte Heilmittel.

Wirkung laut Brunschwigtatsächliche Wirkung
angelica (Angelika / Engelwurz)Vorbeugungsmittel Epidemien
Verdauungsschwäche
antiseptisch, abwehrsteigernd
blähungstreibend, magensaftfördernd
camillen (Kamille)Bauchschmerz, Harn-Entleerungsstörung, Bringt die Monatsblutungkrampflösend, schmerzlindernd, harntreibend, menstruationsfördernd
kruse basilien (Basilikum)Herz stärken und erfreuenLibido steigernd
peterling (Petersilie)Macht wohl harnen, Harn-Entleerungsstörungharntreibend
roßmarynen (Rosmarin)Rechtfertigt und stärkt den Geist, Erwärmt das Haubt und verzehrt Phlegma und Melancholie, Gut für die Gebärmutteranregend, entspannend, menstruationsfördernd
angelica (Angelika / Engelwurz)
camillen (Kamille)
kruse Basilien (Basilikum)
peterling (Petersilie)
roßmarynen (Rosmarin)

Andere sind eklig, nutzlos oder gar giftig.

Wirkung laut Brunschwigtatsächliche Wirkung
alrunen (Alraune)Macht schlafen, Löscht Hitze am Leib, Macht Glieder unempfindlichstark giftig, führt zu gefährlichen Rauschzuständen
von antfögeln blut (Blut von wilden Enten)Harnwegstein, Griess in Lende und Blase
hyrtz horn (Hirschhorn)Verstellt die Monatsblutung
menschen bocht (Menschenkot)Macht Haar wachsen, auch innerlich genommen zu manchen Krankheiten gut … (weitere übelkeitserregende Einträge)
ebbey (Efeu)Haupt-Weh, Gelbsucht, Stein in Blase und Lendenin starker Dosierung giftig
alrunen (Alraune)
von antfögeln blut (Blut von wilden Enten)
hyrtz horn (Hirschhorn)
menschen bocht (Menschenkot)
ebbey (Efeu)

Allein die Dosis macht, dass etwas giftig wird

Würde Paracelsus wohl entgegnen. Der zu Beginn des 16. Jahrhunderts wirkende Arzt, Naturwissenschaftler und Alchemist polarisierte mit seiner schroffen Art und seinen neumodischen Ansätzen⁶. Während Kollegen Gebrechen als Strafe Gottes sahen, begriff er den kausalen Zusammenhang zwischen einer Krankheit und ihren Symptomen.

Für den Schweizer Vagabunden gehörte Magie genauso zu seinem Naturverständnis wie wissenschaftliche, empirische Forschung. Indem Paracelsus die Geheimnisse der Natur entschlüsselte, kreierte er Arzneien, sogenannte magische Medizin. Unter Quintessenz verstand Paracelsus das charakteristische Element eines Stoffes. So war für ihn die Quintessenz von Gold beispielsweise das Feuer.

Die Quintessenz daraus

Wir fassen zusammen:

  • Laut Aristoteles besteht unser Universum aus fünf Elementen. Das fünfte Seiende, auf latein quinta essentia, ist der mysteriöse Stoff, aus dem die Himmelsgestirne sind.
  • Alchemisten bezeichnen mit Quintessenz den innersten Wesenskern eines Stoffes, der konservieren oder heilen könne. Durch alchemistische Verfahren kann die Quintessenz eines Stoffes isoliert werden. 
  • In der modernen Physik steht die Quintessenz für die hypothetische Form der dunklen Energie.
  • In Alltagsgesprächen verwenden wir den Begriff als Umschreibung für den Kernpunkt einer Sache. «Wie lautet die Quintessenz deiner Arbeit?» / «Die Quintessenz deines Monologes lässt sich auf drei Worte runter brechen.»

Zudem wissen wir, welche Zahl die Lieblingsziffer eines waschechten Minimalisten ist. Es ist weder die Eins noch die Null. Es ist die Fünf. Die wesentlichen Dinge sind fünf.

Quellen

¹ Aristoteles: Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) (Durchges. und erw. Ausgabe 2021 Aufl.). Reclam, Philipp, jun. GmbH, Verlag.

² Äthertheorie in Physik | Schülerlexikon | Lernhelfer. (2010). lernhelfer.de. URL
Quellenangabe im TextCastelvecchi, D. (2020, 25. November). 

³ Verdrehtes Licht liefert Hinweise auf Dunkle Energie. spektrum.de. URL
Detel, W. (2021). 

⁴ Priesner, C., Diefenthal, A., Gensberger, G. & Figala, K. (1998). Alchemie: Lexikon einer hermetischen Wissenschaft (1. Aufl.). C.H.Beck.

⁵ Brunschwig, H., Grüninger, J. & Lessing J. Rosenwald Collection. (1500) Liber de arte distillandi, de simplicibus: Das Buch der rechten Kunst zu distilieren die eintzigen Ding. Strassburg, Johan Reinhard Grüninger, 8 May. [Pdf] Retrieved from the Library of Congress, https://www.loc.gov/item/49043561/.

⁶ Cantzen, R.. (2019, 19. November). Paracelsus – Arzt, Alchemist, Philosoph [Audio-Podcast]. In SWR2 Wissen.
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